Nächster Schritt nach Heat-Maps und Scan-Paths

Die heutige Welt

Heat-Maps und Scan-Paths sind die Standardvisualisierungen für Eye-Tracking-Daten.

Typischerweise zeigen Heat-Maps die Fixationsverteilung auf einem Stimulus. Zum Beispiel zeigt Abbildung 1 (rechts), dass die meisten Probanden in diesem Experiment die Punkte A und B auf dem Stimulus (Abbildung 1, links) fokussiert haben. Abbildung 1 (Mitte) zeigt die gleichen Daten mit der gleichen Visualisierungstechnik. Was ist hier passiert? Nur zwei Parameter während des sogenannten Rendering-Prozesses wurden verändert: Die Kernelgröße und die Standardabweichung. Das Ergebnis sieht sehr unterschiedlich aus. Der Punkt ist, dass in den meisten Präsentationen oder Berichten diese wichtigen Parameter nicht genannt werden. Zusammengefasst kann gesagt werden: Heat-Maps sehen schön aus, sind jedoch eine sehr „magische“ Art um Fixationen zu präsentieren.

 

Abbildung 1: Stimulus (links) und zwei Heat-Maps (Mitte und rechts), welche die gleichen Fixationen mit unterschiedlichen Visualisierungsparametern zeigen.

 

Scan-Paths zeigen die Reihenfolge der Fixationen, wie sie von einem Probanden während eines Experiments ausgeführt worden sind (Abbildung 2). Der Nachteil dieser Visualisierungstechnik ist schnell beschrieben: Haben Sie schon jemals versucht die Scan-Paths von mehr als zehn Probanden zu analysieren? Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass dies eine sehr zeitaufwendige Aufgabe ist. In meinem ersten Eye-Tracking-Experiment meiner Karriere im Jahr 2009 wollte ich die Augenbewegung von 30 Probanden untersuchen, die 30 Stimuli in drei Aufgabenblöcken betrachtet hatten. Das Ziel war es, 2.700 Scan-Paths miteinander zu vergleichen. Ich habe das damals nicht angefangen! Wir taten etwas anderes und haben angefangen neue Analysetechniken für die Auswertung von umfangreichen Eye-Tracking-Experimenten zu entwickeln!

 

Abbildung 2: Zwölf von 2.700 Scan-Paths, die ich in einem unseren ersten Eye-Tracking-Experimente analysieren musste.

 

Die Sache mit der Statistik …

Für uns war dabei die erste Frage, ob statistische Methoden und vielleicht helfen könnten? So berechnen statistische Methoden Durchschnittswerte, Mediane oder andere Metriken. Und es gibt ja auch noch leistungsfähigere Verfahren wie t-Tests oder ANOVA. Jedoch haben wir schnell gelernt, dass die meisten statistischen Verfahren nur sinnvoll sind, wenn man die Ausreißer in den Daten herausnimmt. Dadurch zeigen die Ergebnisse aber nur das durchschnittliche Verhalten. Im Falle von Eye-Tracking bedeutet dies, dass man Details sozusagen „glättet“. Und dies führt zu dem Ergebnis, dass interessante Muster in den Augenbewegungen während der Analyse verloren gehen.

 

Die Welt von morgen

Das war der Stand der Technik 2009. Im Raum standen immer noch 2.700 Scan-Paths für meine wissenschaftliche Arbeit und sowohl die Standardvisualisierungen als auch die statistischen Methoden boten keine geeignete Lösung for mich. Um vorwärtszukommen, entschieden wir uns neue Analysetechniken für Eye-Tracking-Daten am Institut zu entwickeln.

 

Abbildung 3: Visual Analytics kombiniert leistungsfähige Berechnungsmethoden mit modernen Visualisierungen.

 

Dafür begannen wir jenseits der damals existierenden Techniken für die Eye-Tracking-Analyse zu denken und uns eine Wunschliste zusammenzustellen, wie die Auswertung von Eye-Tracking-Experimenten in der Zukunft aussehen könnte. Als ersten Schritt führten wir eine Recherche in anderen Gebieten der Datenanalyse durch und fanden ein sehr vielversprechendes Forschungsgebiet, das sogenannte Visual Analytics (Abbildung 3). Dieses relativ neue Forschungsgebiet kombiniert moderne Visualisierungstechniken mit automatischen Methoden. Kurz gesagt, erlaubt Visual Analytics es uns, sowohl die hohe Rechenleistung heutiger Computer einzusetzen, gleichzeitig jedoch auch die menschlichen Fähigkeit zu nutzen, Muster in Visualisierungen zu erkennen. Dabei ist weniger ein hypothesenbasiertes Verfahren, als viel mehr eine Art, explorative ein Experiment zu analysieren.

Heute nach mehr als acht Jahren Forschung auf diesem Gebiet sind wir davon überzeugt, dass Visual Analytics eine Schlüsseltechnologie ist, um neue Einblicke in die Augenbewegungen zu erhalten, die Kosten für die detaillierte Auswertung von Experimenten zu reduzieren und Eye-Tracking auf eine gänzlich neue Ebene zu heben.

 


Über den Autor
Dr. Michael Raschke ist Mitgründer und Geschäftsführer der Blickshift GmbH sowie ein Experte für eine visualisierungsbasierte Analyse von Augenbewegungen. Michael ist Autor und Co-Autor von mehr als 40 Publikationen auf den Gebieten der Visualisierung, Visual Analytics, des Eye-Trackings und der Mensch-Computer-Interaktion.

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